Sind die Regeln für internationale Kohlenstoffmärkte gut genug?

Ein grosses Thema an den Klimaverhandlungen im November 2021 in Glasgow waren die internationalen CO2-Märkte (Artikel 6 des Pariser Abkommens). Nach sechsjährigen Verhandlungen hat man sich endlich auf Regeln für diese Märkte geeinigt. Die neuen Regeln sind gar nicht so schlecht. Doch auch sie enthalten noch Schlupflöcher, die den Klimaschutz erheblich untergraben könnten.

Die Regeln sind für die Schweiz besonders wichtig, denn sie ist eines der wenigen Länder, die auch weiterhin auf Klimazertifikate setzen. Trotz des abgelehnten CO2 Gesetzes will die Schweiz im Rahmen des Klimaübereinkommens von Paris ihre  Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 50 Prozent zu reduzieren (NDC). Dazu sollen nicht nur Inlandemissionen reduziert werden, sondern auch grössere Mengen Emissionszertifikate im Ausland gekauft werden. Dazu hat die Schweiz schon mehrere bilaterale Abkommen abgeschlossen, braucht aber auch die Regeln, die eben beschlossen wurden.

Die neuen Regeln stellen klar: Emissionsreduktionen darf sich nur das Käuferland aber nicht das Verkäuferland anrechnen, und es müssen alle verkauften Emissionsgutschriften bilanziert werden. So wird verhindert, dass sich zwei Länder die gleiche Reduktion an ihr Klimazielen anrechnen, oder dass ein Verkäuferland absichtlich einen Sektor von seinem Klimaziel ausschliesst, um in diesem Sektor Emissionszertifikate generieren und dann an Drittländer verkaufen zu können.

Noch vor zwei Jahren, waren diese Regeln an Brasilien gescheitert. In Glasgow hat Brasilien nun seine Opposition fallen gelassen. Die klaren Regeln gegen solche Doppelzählungen sind erfreulich, doch ganz so einfach ist es nicht: Die Klimaziele der Länder sind sehr unterschiedlich. Die meisten Länder haben nur Ziele für ein einziges Jahr (z.B. 2030) und nicht für einen mehrjährigen Zeitraum, d.h. schon in den Jahren vor dem Zieljahr können in diesen Ländern Klimaprojekte realisiert werden und Reduktionszertifikate generiert und verkauft werden, diese Zertifikate würden dann aber nicht im Klimaziel des Verkäuferlandes bilanziert.

Das wurde nun in Glasgow so adressiert, dass sich die Verkäuferländer einen Teil der verkauften Reduktionen im Zieljahr wieder als Emissionen anrechnen müssen. Aber eine wirklich solide Lösung ist das nicht, weil so immer noch mehr Zertifikate verkauft werden können, als sich das Verkäuferland in seinem Zieljahr wieder als Emissionen anrechnen muss. Lambert Schneider, Wissenschaftler am Oeko Institut und Verhandler für die EU erklärt:  «Das ist besonders problematisch, wenn Emissionsgutschriften von Fluggesellschaften verwendet werden, die im Rahmen des Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation (CORSIA) verpflichtet wurden, einen Teil ihrer Emissionen auszugleichen. In diesem Fall würde etwa die Hälfte der Emissionsminderungen doppelt gezählt. Dies untergräbt dieses ohnehin schwache Instrument vollständig.»

Auch die Schweiz hat bilaterale Abkommen mit Ländern, die nur ein 2030-Ziel haben und will sich Reduktionen Vorjahren anrechnen lassen. Das ist problematisch.

Sehr positiv ist, dass die neuen Regeln festhalten, dass man Emissionsgutschriften nicht auf die nächste Verpflichtungsperiode übertragen darf. So wird  verhindert, dass Länder Zertifikate anhäufen können, um zukünftige Klimaziele zu erreichen, wie dies unter dem Kyoto-Protokoll passiert war.

Auch die Regeln für den neuen Marktmechanismus, der den Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls ablösen soll, sind umfassend und teilweise deutlich besser als der CDM. Zum Beispiel müssen Emissionsreduktionen sehr konservativ berechnet werden und es müssen ökologische und soziale Schutzmaßnahmen getroffen werden. Doch leider gibt es auch hier beträchtliche Schlupflöcher:

Obwohl der neue Marktmechanismus strikte Regeln hat, könnten alte CDM Projekte den Klimaschutz untergraben. Seit vielen Jahren fordern einige Länder mit vielen CDM-Projekten, insbesondere Brasilien und Indien, dass CDM-Projekte auf den neuen Mechanismus übertragen werden dürfen und dass diese Projekte dann unter dem Pariser Abkommen weiterhin Emissionsgutschriften ausgeben können. Nun wurde beschlossen, dass für CDM Projekte, die zwischen 2013 und 2020 registriert wurden, rückwirken Zertifikate ausgestellt werden können. Das untergräbt Klimaziele, da diese Emissionsreduktionen in der Vergangenheit erreicht wurden. Gemäß einem detaillierten Modell, das vom NewClimate Institute und dem Öko-Institut entwickelt wurde, könnten diese Projekte bis zu etwa 300 Millionen Zertifikate ausgeben. Zur Einordnung:  Das entspricht der Summer der Inlandemissionen der Schweiz über ca. 7 Jahre.

Die Schweiz hat sich in den Verhandlungen zu den Marktmechanismen aktiv für robustere Regeln eingesetzt. Ob die Schweiz sich auch tatsächlich qualitativ hochstehende Zertifikate an ihr Klimaziel anrechnen wird, hängt von der Implementierung der Klimaprojekte in den Verkäuferländern ab.  Denn ob diese Projekte wirklich zusätzlich sind, also nur durch die Finanzierung der Schweiz ermöglicht werden, ob die Reduktionen konservativ berechnet werden und ob die Doppelzählung ausreichend adressiert wird, ist noch unklar.

Lambert Schneider fasst zusammen: «Die Regeln allein werden nicht ausreichen, um Umweltintegrität zu gewährleisten. Wie Länder und Unternehmen Artikel 6 nutzen werden, wird für die Klimawirkung von Kohlenstoffmärkten entscheidend sein.»

Ausserdem bleibt die Frage: Macht es Sinn, dass eines der reichsten Länder, mit einer der höchsten pro Kopf Emissionen der Welt, auch weiterhin auf Auslandzertifikate setzt oder wäre es nicht besser Innovation und neue Technologien im Inland voranzutreiben und Klimaschutz in ärmeren Ländern via Klimafinanzierung zu unterstützen?