Wir sind in eine Falle getappt

Interview mit Joachim Schellnhuber, vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschungveröffentlicht im Tages Anzeiger am 2.6.2018

Seit über 25 Jahren beschäftigen Sie sich mit den Folgen des Klimawandels. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Art, wie die Medien darüber berichten, in dieser Zeit verändert?

Schellnhuber: Anfangs standen die Journalisten hier Schlange für Interviews. Dann wurde das fiese Wort des «Alarmismus» geprägt. Es stammt aus reaktionären amerikanischen Kreisen und wurde auch in Europa begierig von interessierter Seite aufgegriffen: Hasselmann, Crutzen, Schellnhuber und andere Warner aus der Wissenschaft, das sind Unken und Spassbremsen. Wer dagegen relativierte und runterspielte, war besonnener Realist. Ich erinnere mich an ein Interview 1995, als Journalisten mich regelrecht aufzustacheln versuchten, die Klimakrise noch dramatischer darzustellen. Zehn Jahre später haben die Medien dann eine Kehrtwendung vollzogen und uns als lächerliche Apokalyptiker hingestellt.

Und heute?

Schellnhuber: Herrscht eine seltsame Gelassenheit. Wir steuern im Irrsinnstempo auf eine unbeherrschbare globale Situation zu, die Risiken erhöhen sich quasi stündlich, aber viele Medien berichten nur noch mit gequälter Beiläufigkeit darüber. Gerade kam ein Weltbankbericht heraus: 140 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2050, und zwar allein schon innerhalb der betroffenen Länder, ohne die grenzüberschreitende Migration. Klar, da gibt es eine Meldung in den Zeitungen, aber das wars dann auch.

Sie haben vor 26 Jahren das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung gegründet. Wie war das Klima damals – das echte wie das metaphorische -, und wie ist es heute?

Schellnhuber: Was das echte Klima angeht: Anfang der Neunzigerjahre gab es die Pionierarbeiten des herausragenden Klimaforschers Klaus Hasselmann und seiner Mitarbeiter. In deren Klimadaten wurden erstmals die leicht verwischten Fingerabdrücke des Menschen sichtbar. Seither hat sich das physikalische Signal der Erderwärmung mächtig aus dem Datenrauschen erhoben, und die dominierende Ursache ist das CO2 aus dem Verfeuern fossiler Brennstoffe. Wir liegen schon 1Grad Celsius über dem vorindustriellen Mittel, und das hat sich im Wesentlichen in den vergangenen 25 Jahren vollzogen. Der Mensch verändert den Planeten wie eine riesige geologische Kraft, und die Erwärmung der Erdoberfläche vollzieht sich rasanter als je zuvor in der Geschichte unserer Zivilisation. Das ist nicht mehr vergleichbar mit dem historischen Wandel von Eiszeit zu Warmzeit zu Warmzeit – wir beamen uns gerade in eine Heisszeit.

Und das metaphorische Klima?

Schellnhuber: Als wir das Institut 1992 gründeten, wurde die Debatte zum Klimawandel mit fast frivolem Lustgruseln geführt. So wie man sich abends einen Krimi ansieht, bei dem man weiss: alles nur Kunstblut. Man ahnte, eines Tages könnte da mal ein Problem entstehen, aber es war weit, weit weg. Je klarer wir aber erkannten, dass der Klimawandel ein existenzielles Problem ist – das nicht wieder verschwindet, das tief greifende Auswirkungen hat, und das nur noch dann halbwegs bewältigt werden kann, wenn wir die komplette Decarbonisierung der Weltwirtschaft in den nächsten zwei, drei Jahrzehnten vollziehen -, umso lästiger wurde die Debatte der Politik und der Gesellschaft. Es sank die Lust, es wuchs das Gruseln, aber nicht das vor den Risiken des Klimawandels, sondern vor den Massnahmen zu dessen Begrenzung. Schliesslich erfordert die «grosse Transformation zur Nachhaltigkeit» eine historisch einzigartige internationale Kraftanstrengung. Da schalten die allermeisten lieber um, etwa zur unsäglichen Migrationsdebatte.

Aus den Texten über die Gründung desInstituts 1992 ist ein grosser Optimismus herauszulesen: Wir Wissenschafter müssen alles besser erklären und brauchen noch ein paar Zahlen mehr, dann wird das schon mit der Weltrettung. Mittlerweile haben Sie es auf jede Art versucht, aber es geht doch Richtung Untergang. Wie erklären Sie sich das?

Schellnhuber: Der damalige Optimismus hatte zum einen mit dem Fall der Berliner Mauer zu tun. Man sah, dass sich Nationen blockübergreifend einigen können, dass Vernunft und Menschlichkeit eine Chance haben. Der Politologe Fukuyama hatte gerade das «Ende der Geschichte» verkündet, was zwar Unsinn war, aber es gab da so ein aufgeräumtes Grundgefühl: Nun lasst uns auch noch etwas über die globale Umwelt nachdenken, um die Restprobleme auf diesem Planeten zu lösen. Der andere Grund für den Optimismus: Damals wäre es tatsächlich noch recht einfach möglich gewesen, die Erderwärmung deutlich unter 2Grad zu halten, wie es das Pariser Abkommen von 2015 fordert. Aber damals ist die Wissenschaft in eine Falle getappt.

Welche Falle meinen Sie?

Schellnhuber: Die Wirtschaft argumentierte: Moment! Ihr wisst das noch nicht genau genug. Ihr habt 90 Prozent Gewissheit, liefert uns 95. Als wir 95 Prozent lieferten, hiess es dann: 98. Ein gigantisches Ablenkungsmanöver, weil es bedeutete: Bevor nicht alle Beweise auf dem Tisch liegen, braucht man nicht zu handeln. Die Lobbyisten haben so der Politik den Vorwand geliefert, sich der Verantwortung zu entziehen. Dabei ist es umgekehrt: Bei 3Prozent Wahrscheinlichkeit, dass wir unsere Existenzgrundlage gefährden, muss ich unverzüglich Rapport erstatten. Und wenn ich zu 90 Prozent sicher bin, müsste ich auf der Strasse stehen und lauthals schreien. Wir Forscher haben uns in dieses Hamsterrad sperren lassen und dadurch kostbare Zeit vergeudet. Die Vorstellung, wenn wir nur geschmeidig genug kommunizierten, dann würde die Gesellschaft schon aus der Kohle aussteigen und den Verbrennungsmotor abschaffen, war naiv. Stattdessen hätten wir unerschütterlich und ungeschönt sagen sollen: Leute, wenn wir nicht radikal umsteuern, fahren wir die Zivilisation an die Wand.

Wie erklären Sie sich diese Trägheit?

Schellnhuber: Durch kognitive Dissonanz. Wenn ich ein riesiges Problem habe, bei dem ich nicht weiss, wie ich es in den Griff bekomme, verdränge ich es. Oder ich intensiviere mein Fehlverhalten. In der Geschichte haben Systeme in dem Moment, in dem sie in die Krise geraten, oft genau den fatalen Fehler verstärkt, durch den sie erst in den Schlamassel geraten sind. Also muss jetzt die Weltwirtschaft weiter wachsen, auch wenn genau das sie zerstören wird.

In Ihrem Buch «Selbstverbrennung» schreiben Sie: «Verzweiflung – so müsste eigentlich mein Fazit lauten, wenn ich die Einsichten in den Klimawandel und die Aussichten für den Klimaschutz nach den 25 Jahren zusammenfassen sollte.» Sind Sie verzweifelt?

Schellnhuber: Es ist eine Achterbahnfahrt. Manchmal denke ich morgens: Wär ich besser nicht aufgestanden. Oder ich denke verdrossen beim Lesen eines Artikels: wieder eine Studie, die noch mehr Evidenz auftürmt, wieder ein sinnloses Interview. Aber es gibt auch Tage, da sehe ich das alles als eine riesige Chance zur Neuerfindung der Moderne und übrigens auch als eine fantastische wissenschaftliche Herausforderung.

Auf die Frage, ob es noch Optimisten unter den Klimaforschern gebe, sagten Sie 2016: «Die Frage ist eher: Gibt es noch Forscher, die mutig ihre Ergebnisse präsentieren, egal, wie schlimm sie sind?» Was meinten Sie damit genau?

Schellnhuber: Nach dem Klimagipfel von Kopenhagen gab es eine regelrechte Treibjagd auf Klimaforscher. Infamerweise wurde das in Anlehnung an den amerikanischen Watergate-Skandal «Climate Gate» genannt. Klimaforschungsgegner hatten unsere E-Mails gehackt und in irreführender Weise veröffentlicht. Man warf uns vor, im grossen Stil Daten manipuliert zu haben. Wir haben damals widerwärtige Zuschriften bekommen, inklusive Todesdrohungen. Und wurden von den Medien wirklich demütigend behandelt. Zwar wurden später alle Vorwürfe von unabhängigen Experten in mühevoller Kleinarbeit entkräftet. Aber es blieb der Eindruck hängen, den Klimaforschern könne man nicht recht trauen. Es war schändlich, wie da sogar Qualitätsmedien aufgesprungen sind. Schlimmer ist aber das andere Thema: Trauen wir uns überhaupt noch, die Daten eindeutig zu präsentieren? Wie schwierig es etwa ist, die 2-Grad-Linie zu halten? Wobei ich überzeugt bin, dass es noch geht – wenn wir jetzt wirklich rasch handeln.

Immer wieder ist die Rede von den sogenannten Tipping Points, Kipppunkten, jenseits derer die Entwicklung nicht mehr umzukehren ist. Welchen nähern wir uns am schnellsten?

Schellnhuber: Am meisten Sorgen machen uns die Korallenriffe und die Eisschilde Grönlands und der Westantarktis. Wir wissen, dass ab 1,5 Grad Temperaturanstieg die Überlebenschancen der tropischen Riffe drastisch sinken. Und auf Grönland könnte das Abschmelzen des Eispanzers schon bei 1,5 oder 1,6 Grad unumkehrbar werden, wobei sich das dann natürlich sehr, sehr langsam vollzieht. Wenn das Eis dort aber vollständig abschmilzt, steigt der Meeresspiegel auf lange Sicht um sieben Meter. Lagos, die Malediven, ein Drittel der Fläche Bangladeshs – das wäre dann alles weg. Das betrifft viele Hundert Millionen Menschen. Wer käme dafür auf? Einige Kipppunkte sind vielleicht schon überschritten. Umso wichtiger ist es, die 2-Grad-Grenze zu verteidigen. Geben wir die auf, kann es sein, dass das Holozän mit seinen milden Temperaturen bald ferne Vergangenheit ist und wir in einen selbstverstärkenden Treibhauseffekt mit 6 oder 8 Grad Erwärmung rutschen.

Machen wir es plastisch: An der Grenze zwischen Perm und Trias erwärmte sich das Klima um 5 Grad. Wie schnell ging das? Was für Folgen hatte das? Und ist dieser geologische Epochenbruch vergleichbar mit der heutigen Situation?

Das dauerte damals Zehntausende Jahre. Heute erwärmt sich die Erde hundertmal so schnell. 90 Prozent aller marinen Arten sind damals ausgestorben, 70 Prozent der terrestrischen. Die Biosphäre hat sich nach und nach komplett neu organisiert. Was der Mensch heute anstellt, ähnelt eher dem Asteroideneinschlag an der Kreide-Paläogen-Grenze. Dass so etwas jetzt geschieht, in diesem Tempo, auf einem überbevölkerten, übernutzten Planeten, gleicht einem kollektiven Suizidversuch.

Sie hoffen auf eine Weltbürgerbewegung. Wie könnte die aussehen? Und wo gibts die schon?

Schellnhuber: Die Divestment-Bewegung, die dazu auffordert, Geld aus umweltschädlichen Anlageformen abzuziehen, ist ein guter Anfang. Und ich dachte früher immer, es sei unpolitisch, den Einzelnen in die Pflicht zu nehmen. Aber jeder sollte verdammt noch mal tatsächlich etwas beitragen. Wir haben uns alle viel zu lange aus der Verantwortung gestohlen. Ja, wir müssen alle Kohlekraftwerke schliessen, ja, wir müssen auf 100 Prozent erneuerbare Energien gehen, aber Sie und ich können von heute auf morgen beschliessen, kein Fleisch mehr zu essen und keine Langstreckenflüge mehr zu machen.

Wie wird die Geschichtsschreibung einst auf uns zurückschauen?

Schellnhuber: Zynische Kollegen sagen, es wird gar keine Geschichtsschreibung mehr geben. Das glaube ich nicht. Ich denke aber, wenn wir es nicht schaffen, wird man mit grosser Verachtung auf uns zurückschauen. Als die Pest 1347 über Europa kam, wusste man nicht, woher das Unheil stammte, und es gab kein Heilmittel. Die Menschen waren völlig ratlos und verzweifelt. Heute wissen wir dagegen genau, was Sache ist. Trotzdem keine Reaktion zu zeigen, ist schändlich. Und sehr dumm. Man könnte die Situation mit einem leckgeschlagenen Schiff auf hoher See vergleichen. Natürlich gibt es auch neben dieser Havarie Probleme: Das Essen in der dritten Klasse ist miserabel, die Matrosen werden ausgebeutet, die Musikkapelle spielt Schlager, aber wenn das Schiff untergeht, ist all das irrelevant. Wennwir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, wenn wir das Schiff nicht über Wasser haltenkönnen, brauchen wir über Einkommensverteilung, Rassismus und guten Geschmack nicht mehr nachzudenken.

Interview mit Joachim Schellnhuber, vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschungveröffentlicht im Tages Anzeiger am 2.6.2018